Bandonionfieber! Und jetzt?

Unter diesem Titel hat mein Kollege Thilo Plaesser im akkordeon_magazin kürzlich einen Artikel veröffentlicht mit wertvollen Tipps für Einsteiger am Bandoneon. Mit seiner Genehmigung (danke,Thilo!) publiziere ich ihn hier in voller Länge.

(Erstveröffentlichung im akkordeon_magazin 01-2017)

Thilo Plaesser:
Bandonionfieber! Und jetzt?

Wenn einen das „Bandonionfieber“ erst einmal erwischt hat, steht man vor einer Reihe von Fragen und Herausforderungen, die beantwortet und gelöst werden müssen. Die meisten Fragen stellen sich auch bei jedem anderen Instrument, das man erlernen möchte. Im Gegensatz zum Klavier, der Gitarre oder dem Saxophon findet aber man beim Bandonion kein Musikgeschäft mit einer Auswahl an verschiedenen Instrumenten. Eine der ersten Fragen lautet:

 

– Welches Griffsystem soll ich wählen?

Beim Bandonion gibt es viele verschiedene Griffsysteme. Weit verbreitet ist das 142 wechseltönige, sogenannte „Rheinische System“. Auf dem „Gebrauchtmarkt“ finden sich auch viele 144tönige Instrumente. Diese Instrumente sind ebenfalls wechseltönig und werden „Einheitsbandonion“ genannt. Dann gibt es noch gleichtönige Systeme, wie zum Beispiel das Peguri/Manoury System.

Die Wahl des Systems hängt u.a. auch von der Musik ab, die man spielen möchte. Wer anstrebt die klassischen Tangoliteratur zu spielen, dem werden die Bandonionlehrer das 142tönige Instrument empfehlen. Man sollte aber bedenken, dass jeder Lehrer das System empfehlen wird, das er auch selber spielt und das muss nicht unbedingt das richtige System für Sie sein. Probieren Sie verschiedene Systeme aus. Meistens merkt man sehr schnell, was „gut in den Fingern liegt“. Mit diversen Apps (u.a. hier im Magazin besprochen) oder mit Grifftabellen, die einige Hersteller auf ihren Websites als Download zur Verfügung stellen, können Sie sich schon vorab einen Überblick verschaffen.

Meine eigene Erfahrung ist folgende:

Ich spiele unter anderem einen C-Griff Bayan und da war es für mich natürlich naheliegend, das gleichtönige System auszuprobieren. Bei den ersten Versuchen war ich sehr angetan, denn es gibt viele Übereinstimmungen zum C-Griff Layout. Je häufiger ich aber dieses System ausprobierte, umso skeptischer wurde ich. Fast hätte ich mir schon ein neues Instrument für 6000€ gekauft, aber ich stellte fest, dass eine Ähnlichkeit im System keine Gemeinsamkeit bedeutet. Zuerst versuchte ich natürlich meine gewohnten C-Griff Skalen und Akkorde zu spielen. Dabei wurde mir sehr schnell eine Grenze aufgezeigt. Zunächst einmal spielt man das Bandonion ohne Daumen. Das macht schon viele Fingersätzte und Griffmuster, die man im Kopf hat zunichte. Dann hat das Bandonion keine Hilfsreihen, so wie das C-Griff Knopfakkordeon. Außerden wird das System, das in den ersten zwei/drei Reihen angedeutet wird, nicht konsequent durchgeführt. So begeistert ich am Anfang von dem gleichtönigen Instrument war, so frustriert war ich jetzt. Ich kam zu der Einsicht, dass das gleichtönige Bandonion nicht das System meiner Wahl ist. Das war sehr enttäuschend! Da ich das wechseltönige System nie in Betracht gezogen hatte, legt ich den Bandonionwunsch erst einmal „auf Eis“. Dann bekam ich aber immer mal wieder ein wechsteltöniges Instrument in die Hand und probierte es spielerisch aus. Erstaunt stellte ich fest, wie ergonomisch Skalen und Akkorde in den Fingern liegen, wenn man sie erst einmal entdeckt hat. Dann fand ich auf „ebay-Kleinanzeigen“ ein 144töniges Instrument, gebaut von Alfred Arnold, aus dem Jahre 1937, in einem fast neuwertigen (!) Zustand. Es musste nur neu ventiliert und gestimmt werden. Die Wahl des Systems kann also durchaus auch davon abhängen, welches Instrument gerade zur Verfügung steht.

 

Die verschiedenen Systeme:

– 144 „Einheitsbandonion“ / 142 „Rheinisches System“

Vor allem in Deutschland war das Einheitsbandonion mit 144 Tönen das Standardsystem. Heute ist es weniger verbreitet. Das „Rheinische System“ mit 142 Tönen ist das verbreitetste System, vor allem in der Tangozsene. Man kann sagen, dass es aufgrund der Anordnung der Töne im Einheitsbandonion auf der linken Seite einfacher ist, Akkorde zu spielen. Melodisch lässt sich die „linke Seite“ besser beim „Rheinischen System“ spielen. Die Anordnung der Töne im Kernbereich sind im 144- und im 142tönigen System fast identisch.

– Peguri/Manoury System – gleichtönig

Dieses System ist in den Grundzügen dem C-Griff, den Sie vom Knopfakkordeon kennen, ähnlich. Man spielt auf Druck und Zug ein- und denselben Ton auf dem jeweiligen Knopf. Dieses System kann zu Beginn „einfacher“ sein. Später kann man aber an die Grenzen dieses Systems kommen. Bestimmte Kombinationen von Skalen oder Akkorden erfordern unbequeme Haltungen und Griffe. Außerdem klingt das gleichtönige Instrument etwas anders als das wechseltönige, da die Stimmplatten anders angeordnet sind. Der Unterschied ist aber minimal.

 

-Wie komme ich an ein Instrument?

Idealerweise sucht man sich zuerst einen passenden Lehrer, mit dem man dann gemeinsam ein Instrument aussuchen kann. Wer selbstständig auf die Suche geht, hat verschiedene Möglichkeiten:

 

– Die Anschaffung eines neuen Instrumentes:

In diesem Fall ist es ratsam, Kontakt mit den Herstellern in Deutschland aufzunehmen. So eine kostenintensive Anschaffung sollte aber nicht per Telefongespräch getätigt werden. Besuchen Sie die Hersteller. Einige von ihnen liegen ja regional dicht zusammen, so dass man mehrere Hersteller auf einer Reise besuchen kann. Verschaffen Sie sich einen Eindruck von den Menschen, die das Instrument bauen. Schauen Sie in die Werkstatt. In den Gesprächen entwickelt sich dann ein Eindruck. Manchmanl haben die Hersteller auch gespielte, preiswertere Instrumente vor Ort. Bedenken Sie, dass neue Instrumente erst einmal „eingespielt“ werden müssen und anders klingen als die gespielten („alten“) Instrumente. Beim Akkordeon ist das ja nicht anders…

 

– Ein gebrauchtes Instrument kaufen:

Das ist ein schwieriges Unterfangen. Vor allem dann, wenn man nicht die nötigen Kenntnisse hat, ein Instrument auch vom technischen Standpunkt aus zu beurteilen. In so gut wie allen Fällen muss man Folgekosten einplanen! Folgende Arbeiten müssen meistens ausgeführt werden: Die Reinigung des Instrumentes, das Aufbringen neuer Ventile und eine komplette Stimmung. Häufig fallen noch (kleinere) Arbeiten an, wie das Richten einiger Knöpfe oder das Verschließen kleinerer Löcher im Balg. Ist das Instrument in einem guten Allgemeinzustand, lohnen sich diese Arbeiten auf jeden Fall.

Immer wieder werden im Netz alte Alfred Arnold Instrumente für horrende Summen angeboten. Schaut ein Instrument wie ein Trümmerteil aus, ist es das meistens auch. Ich kann dem sogenannten „Vintage-Look“ mit aufgeplatzen, vergilbten Knöpfen, einem“abgerocktem Gehäuse“ und einem stinkenden Balg nichts abgewinnen. Hinzu kommt, dass solche Instrumente schon so häufig gestimmt wurden, dass die Zungen kaum noch Material besitzen, um sie nochmal vernünftig stimmen zu können. Ähnlicher „Kult“ wird ja auch mit alten Steinway Flügeln oder Fender Gitarren betrieben. Manchmal sind Instrumente aber von außen fast unversehrt, haben aber jahrelang in einem feuchten Keller gelegen und die Stimmplatten, Zungen und der Balg sind hinüber. Da kann das vermeintliche Schnäppchen sehr teuer werden. Im Zweifel investieren Sie vorher lieber in das Gutachten eines Fachmanns.

 

– Wo finde ich einen Lehrer?

Fast jeder Bandonionspieler erteilt auch Unterricht. Auf den websites der Musiker finden Sie Informationen und Kontaktdaten. Diese finden Sie durch Recherche im Internet und durch unsere Artikel im Akkordeon Magazin. Private oder städtische Musikschulen bieten Bandonionunterricht in der Regel nicht an.

 

– Was gibt es für Schulen und Apps?

Apps sind für das selbstständige Erkunden des Grifflayouts ein sehr gute Hilfe. In dieser Ausgabe finden Sie meine Rezension der „BandoChords“ App, mit der man zahlreiche Giffsysteme aufrufen kann. Das kann auch im Vorfeld eine Entscheidungshilfe für ein System sein, da man direkt die Positionen der Töne vergleichen kann. Wer sich für das 142tönige Instrument entschieden hat, dem sei noch einmal als Ergänzung die App von Burag Sendag (Rezension im Akkordeon Magazin Ausgabe 46) empfohlen. Zwei neue Bandonionschulen (von Judith Brandenburg und Peter Haas) im Printformat sind aktuell erschienen und wurden in der letzten Ausgabe vorgestellt. Desweiteren gibt es eine Schule in zwei Bänden von Klaus Gutjahr, Berlin. Außerdem gibt es noch einige alte deutsche Schulen, sowie Schulen aus Südamerika, die meistens nur als pdf Dokument erhältlich sind.

Das Instument ist die Schnittstelle zwischen dem Musiker und der gehörten, gespielten Musik. Die Entscheidung, welches Instrument (System) man spielen wird, kann ganz spontan fallen oder auch einen längeren Entscheidungsprozess durchlaufen. Probieren Sie so oft wie möglich Instrumente aus. Das Wichtigste aber ist: Fangen Sie einfach mal an…

 

Thilo Plaesser, im Dezember 2016

http://www.thiloplaesser.de

 

 

 

 

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